Wie mich mein Ego vom Schreiben abhält

Wie mich mein Ego vom Schreiben abhält
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Vom Schreiben über das (Nicht-)Schreiben

Auf dieser Website sollten schon seit langem auch Blogartikel erscheinen. Inspirierende Fundstücke und persönliche Beiträge über meine Beschäftigung mit Meditation und Achtsamkeit (bzw. mit dem Leben im Allgemeinen). Die Ideen dafür gibt es schon lange, bisher hatten sie es jedoch noch nicht auf „Papier“ geschafft. Die richtige Inspiration zur richtigen Zeit hat nun endlich zu diesem Artikel geführt: Ich habe mich entschieden, einfach über das (Nicht-)Schreiben zu schreiben (ein recht hartnäckiger Ohrwurm hat dabei sicher auch mitgespielt).

Wie sich herausstellte sind meine Schreibblockaden tatsächlich ein gutes Beispiel, um eine wichtige Erkenntnis zu illustrieren: Sehr viele Hindernisse, die „mir im Weg stehen“ oder mich vom Tun abhalten, sind in Wahrheit nur perfide Gedankenkonstrukte, die in meinem Geist existieren. Es gab schon viele Anläufe, in denen ich mir das Schreiben auf meine Aufgabenliste für den heutigen Tag setzte. Wenn es dann ans Tun gehen sollte, flogen mir immer wieder starke Widerstände um die Ohren. Erinnerungen an meine Masterarbeit tauchten auf und an die vielen energieraubenden inneren Kämpfe, die ich in dieser Phase ausgetragen habe.

Dazu gesellten sich Gedanken wie „Ich muss erst XX Bücher lesen, damit ich etwas schreiben kann – Ich melde mich zuerst für Schreibkurse an, damit ich weiß, wie man es richtig macht – Ich muss mir vorher Listen, Tools, Templates, Pläne etc. zusammenstellen – Was ist wenn ich zu viel von mir schreibe und es zu persönlich wird? Aber was ist, wenn nur kühle Worte überbleiben, die keinen Menschen mehr dahinter erkennen lassen… und und und… Der Geist kann viele wundersame Dinge loslassen, die zusammengewürfelte Zutaten für einen wenig schmackhaften Strudel werden können.

Ungemütliche Zustände und wie das Ego mitspricht

Dabei wäre es doch eigentlich ganz einfach – wenn ich tatsächlich nicht schreiben möchte, dann schreibe ich nicht, es zwingt mich doch niemand. Wenn ich dann doch schreiben möchte, setze ich mich hin und schreibe drauf los. Dass es sich in der Realität nicht so gestaltete, erkannte ich bald an meinem Verhalten und den Gemüts- und Geisteszuständen.

It’s important to understand which mind states are skillful and which are unskillful, not in order to judge ourselves or be reactive to them, but in order to see which lead to happiness and should be cultivated in our lives, and which lead to suffering and should be abandoned.”

(Goldstein 2016: 102)

Siddharta Gautama, „der Buddha“, spricht in seinen Texten von drei Hauptquellen, die zu ungesunden Geistesverfassungen führen können: Lust und Gier, Hass (auch Böswilligkeit und Ärger) und Verwirrung (sowie Irrglaube oder Unkenntnis). (Goldstein 2016: 101)

Vereinfacht gesagt, ich will etwas, ich will etwas nicht oder ich weiß gar nicht was eigentlich los ist

Das folgende Zitat erklärt diese Geisteszustände auch sehr gut anhand wahrnehmbarer Gefühle und Körperempfindungen: “There is no fire like lust, no grip like anger, and no net like delusion [Dhammapada] (…). We might feel that fevered excitability of wanting or greed; we might experience the tightness, contraction, and alienation of anger and hatred; we might feel the confused entanglement of delusion.” (Goldstein 2016: 103)

Wie sich zeigte, wurde mein (Nicht)-Schreibprozess von den oben beschriebenen Geisteszuständen geformt: Zunächst spürte ich eine fieberhafte Aufregung, wenn mir Ideen kamen und ich den Wunsch spürte, sie aufzuschreiben und zu teilen. Als ich mich anschließend vor den Bildschirm setzte, erschienen die erwähnten Gedankenstrudelzutaten in meinem Bewusstsein. Ärgerliche Gefühle kamen hinzu, die sich auch körperlich in Empfindungen von Enge und Kontraktion insbesondere in der Brust- und Herzgegend zeigten. Dieser Ärger über mich und die Situation führte schließlich zu Unklarheit und Verwirrung, ob ich vielleicht wirklich nicht schreiben sollte.

Die Geisteszustände können sich auch in Bewegung ausdrücken: „pulling in, pushing away, and running around in circles” oder anders gesagt: den Laptop in freudiger Erregung an mich reißen, den Laptop mit leeren Seiten verärgert zuklappen und anschließend konfus in der Wohnung von einem Zimmer zum anderen gehen.

Like a motherf*****

Einige Tage habe ich diesen Gedanken in Sitzmeditationen und in kurzen achtsamen Alltagsmomenten gelauscht und die begleitenden Gemütszustände gespürt. Ich versuchte ihnen dabei immer wieder aufs Neue mit einer annehmenden und freundlichen Haltung zu begegnen. Der richtige Moment mit dem notwendigen Funken Klarheit kam schließlich während einer Klangschalenreise, die ich besuchte. Zum Ende der Reise hatte sich ein Gefühl von Entspannung eingestellt, mit dem ich noch einige Minuten im Liegen, begleitet von unterschiedlichen Klängen meditierte.

Plötzlich erschien ein Gedanke in meinem Bewusstsein: „Write like a motherf*****“. (Hier gibt’s das Originalzitat) Dieser Satz erinnerte mich an mein erstes Gespräch für den Podcast mit Eva Karel. Wir haben unter anderem über das Schreiben gesprochen und Eva erwähnte dabei auch das Zitat von Cheryl Strayed. Dieser einzige Satz hat nun auch meinen Geist auf den Punkt gebracht und offenbart, was mich tatsächlich vom Schreiben abhält: „(It’s about) getting out of your own ego, and getting to work.“ .

All die Gedanken vor dem weißen Word Dokument fasse ich als „Ego-Talkshow“ zusammen. Es ist mein Ego, das Angst und Scham versprüht und immer neue wilde und absurde Flausen entwickelt, weil es nur die besten, intelligentesten und witzigsten Texte schreiben und ins World Wide Web schicken will. Die Tatsache, dass im Prozess des Schreibens (und bei vielen anderen ähnlichen Aktivitäten) auch mal mittelmäßige bis schlechte Ergebnisse rauskommen können, hält mein Ego nicht aus. Doch was bleibt dann übrig, wenn der Ego-Talk verstummt? Ohne Erwartungen, Fantasien und Vorstellungen davon, was alles durch das Schreiben und nach dem Veröffentlichen passieren könnte/sollte/müsste zeigt sich manchmal tatsächlich einfach die Freude am Tun. Ein leichtes und befreites Vergnügen mit der Tätigkeit selbst.


Kurzer Check-In auf der Ego-Couch

Die regelmäßige Begegnung und das Kennenlernen der unterschiedlichen Geisteszustände und Gefühle kannst du auch in deine Meditationspraxis und Achtsamkeitsübungen einbauen. Wenn du dich in Meditation begibst oder auch im Alltag die Chance für achtsame Momente erkennst, kannst du dir beispielsweise die Fragen stellen: Was ist jetzt? Wie sind im Moment meine Verfassung und mein Gemütszustand? Was kann ich jetzt gerade in meinem Körper wahrnehmen? Fühle ich ein Kribbeln, erkenne ich den Wunsch, etwas in dem Moment unbedingt haben oder tun zu wollen? Spüre ich eine Enge irgendwo in meinem Körper, vielleicht im Brustbereich oder fühle ich Weite und Offenheit? Kann ich Anspannungen wahrnehmen, im Gesicht oder irgendwo anders im Körper? Oder kann ich vielleicht gerade überhaupt nicht erkennen, was los ist? Habe ich gerade einen unlösbaren Knoten vor mir oder wild herumhüpfende Gedanken?

Egal, ob du dich gerade auf dein Kissen gesetzt hast oder eine leere Seite auf deinem Bildschirm anstarrst, ein kurzer Check mit den momentan anwesenden Zuständen kann oft schon zu etwas Ruhe und Gelassenheit führen. Allen anwesenden Gästen im Geist kannst du dann versuchen, mit einer akzeptierenden und freundlichen Haltung zu begegnen: „Hallo Angst, Scham, Selbstzweifel, Ärger, Verwirrung – willkommen auf der Party. Ich bin dann mal Meditieren (Schreiben / Malen / Unterrichten / …), aber ihr dürft euch ruhig auf die Ego-Couch setzen und mir dabei zuschauen.“

Inspiriert von:

Mindfulness. A Practical Guide to Awakening (Joseph Goldstein)

The Mindful Salon Podcast Episode #2 – Eva Karel: Om, Oida! Yoga ohne Maskerade

Dear Sugar, The Rumpus Advice Column #48 (Cheryl Strayed)

Creative Nonfiction, Issue #47, Winter 2013, How to Write Like a Mother#^@%*& (Elissa Bassist & Cheryl Strayed)

Natasha Bedingfield – These Words

Ursache\Wirkung 03/2019, Ausgabe Nr. 109

The War of Art (Steven Pressfield)

und vielen weiteren …

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